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Zu dieser spannungsvoll erwarteten Arbeit holten sich die
M�nchner prominente Koproduzenten ins Boot (New Yorker
Lincoln-Center, Ruhrtriennale, Pariser Festival d'Automne) -
"Shadowtime", erste Oper von Brian Ferneyhough, demnach als
Finale furioso der Biennale Nummer
neun?
Komplexe Musiksprache
Doch Vorsicht, Untertitel: Ferneyhoughs Begriff der
"Gedankenoper" hielt, was er verhie�. Dem Komponisten samt
Librettisten Charles Bernstein schwebte eine Einkreisung von
Walter Benjamin vor. Mit Schlaglichtern auf Leben und Denken,
mit philosophischen Erw�gungen und erfundenen Gespr�chen, zu
denen Hitler und Pius XII., Karl Marx und Groucho Marx
beschworen wurden. Doch ach: keine Helden und Handlungstr�ger,
keine nachvollziehbare Erz�hlstruktur, keine Regie als
Erhellungsinstanz - so wenig Theater war heuer nie auf diesem
Festival.
Dabei kann Ferneyhoughs Partitur durchaus
imponieren. Sehr versiert aufs Blatt geworfen, hochkomplex und
bis in die Mikrogeste ausgekl�gelt ist diese Musiksprache,
schrundig und zerrissen, Entwicklungsschichten �berlagernd und
auf motivische K�rzel verknappt; eine Sprache, die oft im
erm�denden Einheits-Mezzoforte wetterleuchtet, dabei die
Einzelinstrumente des mit Schlagwerk angereicherten
Kammerorchesters stark individualisiert. Fassbarer wird
Ferneyhoughs Opus in den Chorszenen, in denen er moderne
Homophonie schreibt, alte Formen zitiert oder mit Zischen und
Zeitlupenfl�stern neue Klangelemente einbaut. Oder wenn er
sich mit Gitarren- und Klavier-Soli eine Art Hyper-Virtuosit�t
gestattet und gegen Ende des zweist�ndigen, pausenlosen St�cks
alles skurril �berreizt, dabei (ungewollte?) Komik
erzielt.
Ferneyhoughs Oper verharrt im Konzertanten.
Das ist f�r ein Musiktheater-Festival allein schon fragw�rdig.
Ebenso, dass die Biennale hier nicht das gewohnte Forum f�r
einen Neuling bot, sondern f�r einen Etablierten, der weite
Teile des Werks �berdies schon an anderem Ort vorgestellt
hatte. Viel schlimmer jedoch: "Shadowtime" wendet sich nie an
ein Gegen�ber, sondern kreist autistisch um sich selbst, von
Theorielasten beschwert und bar jeglicher
Sinnlichkeit.
Die Gleichzeitigkeit der Aktion, die
�berblendung verschiedener, nur durch intensive
Vorbesch�ftigung einleuchtender Texte, die in dieser
Auff�hrung kein Mensch versteht, auch die Selbstverliebtheit,
mit der sich die Autoren an ihrer Kunst weiden, all das sperrt
das Publikum aus. Eine Herkulesarbeit also f�r einen
Regisseur, an der Fr�d�ric Fisbach scheitern musste.
Kulissenschiebereien auf schwarzer B�hne, aufgekratzte
Blaum�nnchen und -weibchen mit Rothaar-Per�cke, die - von
hinten unlesbaren - Textbahnen, auch die Flucht ins dankbare
Schattentheater: Von Hilflosigkeit zeugte das, auch vom
honorigen, wiewohl gescheiterten Vorhaben, "Shadowtime" eigene
Akzente entgegenzusetzen.
Und so blieben Sieger des
Abends die erstaunlich engagierten Solisten, an der Spitze
Ekkehard Abele (Walter Benjamin) und Nicolas Hodges (Klavier),
sowie das hochversierte Nieuw Ensemble Amsterdam, das von
Jurjen Hempel derart souver�n gelotst wurde, als habe er
selbst die Partitur entworfen. Heftiger Applaus f�r die
Mitwirkenden, ged�mpfter f�r Ferneyhough: "Der abenteuernde
K�nig von Vieldeutigkeit und Dunkelheit" wird Walter Benjamin
im St�ck genannt. Aber dann w�re sein Komponist der Kaiser mit
den neuen Kleidern.
MARKUS
THIEL
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