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Donnesstag, 27. Mai 2004

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Das Publikum ausgesperrt
M�nchener Biennale: "Shadowtime" von Brian Ferneyhough

 

von Markus Theil

Der f�nfte Streich sollte das Festival endlich adeln. Der Chef verglich die Urauff�hrung im Prinzregententheater gar mit Helmut Lachenmanns "M�dchen mit den Schwefelh�lzern", mit jenem epochalen Musiktheater-Opus also, das Peter Ruzicka 1991 in Hamburg erm�glichte und das wohl sein Selbstverst�ndnis als Kulturmanager am st�rksten pr�gte.

Zu dieser spannungsvoll erwarteten Arbeit holten sich die M�nchner prominente Koproduzenten ins Boot (New Yorker Lincoln-Center, Ruhrtriennale, Pariser Festival d'Automne) - "Shadowtime", erste Oper von Brian Ferneyhough, demnach als Finale furioso der Biennale Nummer neun?

Komplexe Musiksprache

Doch Vorsicht, Untertitel: Ferneyhoughs Begriff der "Gedankenoper" hielt, was er verhie�. Dem Komponisten samt Librettisten Charles Bernstein schwebte eine Einkreisung von Walter Benjamin vor. Mit Schlaglichtern auf Leben und Denken, mit philosophischen Erw�gungen und erfundenen Gespr�chen, zu denen Hitler und Pius XII., Karl Marx und Groucho Marx beschworen wurden. Doch ach: keine Helden und Handlungstr�ger, keine nachvollziehbare Erz�hlstruktur, keine Regie als Erhellungsinstanz - so wenig Theater war heuer nie auf diesem Festival.

Dabei kann Ferneyhoughs Partitur durchaus imponieren. Sehr versiert aufs Blatt geworfen, hochkomplex und bis in die Mikrogeste ausgekl�gelt ist diese Musiksprache, schrundig und zerrissen, Entwicklungsschichten �berlagernd und auf motivische K�rzel verknappt; eine Sprache, die oft im erm�denden Einheits-Mezzoforte wetterleuchtet, dabei die Einzelinstrumente des mit Schlagwerk angereicherten Kammerorchesters stark individualisiert. Fassbarer wird Ferneyhoughs Opus in den Chorszenen, in denen er moderne Homophonie schreibt, alte Formen zitiert oder mit Zischen und Zeitlupenfl�stern neue Klangelemente einbaut. Oder wenn er sich mit Gitarren- und Klavier-Soli eine Art Hyper-Virtuosit�t gestattet und gegen Ende des zweist�ndigen, pausenlosen St�cks alles skurril �berreizt, dabei (ungewollte?) Komik erzielt.

Ferneyhoughs Oper verharrt im Konzertanten. Das ist f�r ein Musiktheater-Festival allein schon fragw�rdig. Ebenso, dass die Biennale hier nicht das gewohnte Forum f�r einen Neuling bot, sondern f�r einen Etablierten, der weite Teile des Werks �berdies schon an anderem Ort vorgestellt hatte. Viel schlimmer jedoch: "Shadowtime" wendet sich nie an ein Gegen�ber, sondern kreist autistisch um sich selbst, von Theorielasten beschwert und bar jeglicher Sinnlichkeit.

Die Gleichzeitigkeit der Aktion, die �berblendung verschiedener, nur durch intensive Vorbesch�ftigung einleuchtender Texte, die in dieser Auff�hrung kein Mensch versteht, auch die Selbstverliebtheit, mit der sich die Autoren an ihrer Kunst weiden, all das sperrt das Publikum aus. Eine Herkulesarbeit also f�r einen Regisseur, an der Fr�d�ric Fisbach scheitern musste. Kulissenschiebereien auf schwarzer B�hne, aufgekratzte Blaum�nnchen und -weibchen mit Rothaar-Per�cke, die - von hinten unlesbaren - Textbahnen, auch die Flucht ins dankbare Schattentheater: Von Hilflosigkeit zeugte das, auch vom honorigen, wiewohl gescheiterten Vorhaben, "Shadowtime" eigene Akzente entgegenzusetzen.

Und so blieben Sieger des Abends die erstaunlich engagierten Solisten, an der Spitze Ekkehard Abele (Walter Benjamin) und Nicolas Hodges (Klavier), sowie das hochversierte Nieuw Ensemble Amsterdam, das von Jurjen Hempel derart souver�n gelotst wurde, als habe er selbst die Partitur entworfen. Heftiger Applaus f�r die Mitwirkenden, ged�mpfter f�r Ferneyhough: "Der abenteuernde K�nig von Vieldeutigkeit und Dunkelheit" wird Walter Benjamin im St�ck genannt. Aber dann w�re sein Komponist der Kaiser mit den neuen Kleidern.


MARKUS THIEL



Datum: 26.05.2004 20:28 | aktualisiert: 27.05.2004 00:01
 

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