Westfälische Rundschau

4. Oktober 2005

Mit Walter Benjamin in die Unterwelt

"Shadowtime" in Bochum

Von Sonja Müller-Eisold

Bochum. Am 27. September 1940 nahm sich der deutsche marxistische Kulturphilosoph Walter Benjamin bei der gescheiterten Flucht über die Pyrenäen 48-jährig das Leben. Der Autor Charles Bernstein und der Komponist Brian Ferneyhough widmeten ihm und seinem Wirken die Oper "Shadowtime".

Sie wurde bei der Biennale in München 2004 uraufgeführt, später erfolgreich in London und New York vorgestellt. Nun fand sie den Weg zur RuhrTriennale in die Jahrhunderthalle in Bochum.

Eine Oper im herkömmlichen Sinne mit durchgehender Handlung ist sie nicht. Eher modernes Musiktheater als Performance in sieben sehr unterschiedlichen Szenen, die Ereignisse, Rückblenden, Fragen, Zitate, Gespräche und Texte, Begegnungen mit anderen Geistesgrößen der Geschichte festhalten.

Das Werk beginnt in der Wirklichkeit - im Grenzort Port Bou, wo Benjamin erfährt, dass er kein Transit-Visum für Spanien erhält. Dann aber bewegt es sich in verschiedenen Ebenen gedanklicher Art weiter, die sich auch ineinander verflechten, darstellen und reflektieren. Die fiktiven Gesprächspartner werden als überdimensionale Pappfiguren auf die Bühne geschoben: Hölderin, Karl Marx, Papst Pius, Albert Einstein, Hitler, Jeanne d´Arc. Es kommt zu spannenden Dialogen, Betrachtungen und Kommentaren. (Regie Frédéric Fisbach) Die Musik hat überwiegenden Anteil. Mit sehr modernen Mitteln und zugleich überlieferten Formen aus 800 (!) Jahren abendländischer Musikgeschichte. Im Mittelpunkt steht ein rein instrumentales Kammerkonzert über den "Engel der Geschichte" von außergewöhnlicher Klangwirkung. Jurjen Hempel führt das Nieuw Ensemble Amsterdam, bewährte Darsteller neuer Musik, dabei kammermusikalisch fein und mit aufbegehrenden Klangentäußerungen.

 

Ein ausgedehntes Klaviersolo mit einem sprechenden Pianisten erweist sich als ein Stück Ein-Mann-Theater, lokalisiert in einer Bar in Las Vegas. Warum dort? Die Autoren finden: " Las Vegas ist das Paradies der Kulturindustrie mit offenem Kanal zu deren Hölle." Es beschreibt Walter Benjamins Abstieg in die Unterwelt und ist musikalisch hochvirtuos angelegt (Nicolas Hodges).

Auf der Bühne hat vor allem ein Chor die Hauptlast der immens schwierigen Aufgaben. Die Neuen Vocalsolisten Stuttgart, auch sie Experten in diesem Genre, gehen mit dieser hochfordernden Materie perfekt um. Es hätte jedoch dem Hörer-Verständnis sicher gedient, wenn man bei diesem intellektuell abgehobenem Stück ausführlichere Übertitel geliefert hätte.

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