Frankfurter Allgemeine Zeitung

1. April 2005

RUBRIK: Feuilleton; Feuilleton; S. 36

ÜBERSCHRIFT: Let us make love to dem Mond;
Identität, die singt: Zum Tod des amerikanischen Dichters Robert Creeley

TEXT:


Es sind nicht allzu viele Fotos von ihm in Umlauf; Robert Creeley war nicht eitel, war kein Selbstdarsteller. Die besondere Brille oder die Augenkappe, die er trug, sollte nichts Besonderes signalisieren, bloß das Faktum, daß der Dichter als Kind sein linkes Auge verloren hatte. Creeley überschätzte das Biographische nicht, und doch hat er eine "Autobiographie" geschrieben, ganze sechzig Seiten als Lebensbilanz. Understatement dominiert. Es gibt keine Suche nach verlorener Zeit, allenfalls Echos davon, so auf die traumatische Erfahrung der Augenverletzung bei einem Autounfall. Nimmt man das Buch zur Hand, fällt einem vor dem eigentlichen Text eine nüchterne Angabe auf: "Robert Creeley 1926". Ein vorweggenommenes Epitaph.

Robert Creeley starb am Mittwoch, im Alter von achtundsiebzig Jahren, im texanischen Odessa. Der Dichter der langsamen Grazien ist tot, der Dichter der wenigen Wörter, die einer sparsam bedruckten Seite ein Maximum an Emotion geben. Sparsamkeit, Langsamkeit waren Gesetze seiner Poesie. Eines der frühen Gedichte beschwört den "Atem der langsam ist" und sagt von den Grazien: I mean graces come slowly. "Ich meine, Grazien kommen langsam", übersetzte Klaus Reichert, der uns 1967 eine umfassende Gedichtauswahl Creeleys präsentierte.

"Das Leben war wirklich, und das Leben war ernst", schrieb der Dichter in einem poetologischen Statement. Kurz: die Musen standen 1926 nicht an der Wiege des Arztsohnes in Arlington, Massachusetts. Der frühe Tod des Vaters und der Verlust seines Auges waren entscheidende Erlebnisse. Für den Wehrdienst untauglich, diente Robert Creeley gleichwohl als Ambulanzwagenfahrer beim American Field Service, ehe er sich für das Schreiben entschied. Es wurde ihm wichtiger als die Universitäten. Creeley verließ Harvard ohne Abschluß, ging nach Frankreich und nach Mallorca, wo es sich billig leben ließ. Er gründete dort die Divers Press, verlegte die Bücher seiner Freunde und - natürlich - seine eigenen. Sein Freund Charles Olson berief ihn an das legendäre Black Mountain College, wo er bis zu dessen Schließung lehrte und eine Generation junger Poeten beeinflußte. Seine späteren Jahre verbrachte Creeley als Professor für englische Literatur in Buffalo. In den achtziger Jahren war er auch in Deutschland, etwa in Berlin, das er von einem Aufenthalt als DAAD-Stipendiat kannte. Dort spielt eine kleine Sequenz von Gedichten, in der es Anflüge von groteskem Humor gibt: "Let us tanzen / miteinander / und make love / to dem Mond."

Creeley scheute vor dem Wort "Dichter" zurück, weil er Verschwommenheit und Romantik haßte. Und war doch Dichter im striktesten Sinne, nämlich ein Magier der kühlsten und diskretesten Art. Aus dem nicht eben leisen Chor der amerikanischen Lyrik fiel seine Stille heraus. Sein "beat of breath" war leise, aber nicht minder insistent als der heftige Taktschlag der Beat-Generation. Creeleys Verse wirkten wie improvisiert, doch die meist wenigen über die Zeile verteilten Worte waren genau und hellwach gesetzt. Sie bezeichnen die elementaren Modi des Lebens wie Liebe und Haß, Stille und Bewegung. Elementar sind auch die Titel wie "A Song", "The Crisis", "For Love", "Anger", "Words". Der knappste Titel lautet: "I". Dieses wahrhaft erstaunliche Gedicht handelt von Großvater und Vater und führt "I" (Ich) nur mit einer rudimentären Zeile ein: "I, is late".

Creeley lehrt Bescheidung. Das Ich, das hier spricht, ist nicht das opulent regressive "späte Ich" Gottfried Benns, es ist ein versachlichtes Ich, das seine Empfindungen in die Erzählung von seinen Vorfahren verlegt. Ein Ich, das gedenkt und singt. Auf die alte Frage, was das Ich sei, reagiert Creeley so: "Wer / bin ich - Identität / die singt." Diese leise, insistente Stimme tönt nur noch aus Robert Creeleys Gedichten. Sie wird noch lange gehört werden.

HARALD HARTUNG

Dichter der langsamen Grazien: Robert Creeley.